Agra (2015)

Photos and notes

Agra ... or how I see the Taj

Einer der großen Vorteile Bharatpurs ist die günstige Lage direkt am Jaipur-Agra-Highway, und der große Vorteil des Spoonbill Guesthouses, in dem ich abgestiegen bin, dass es nur 150m von diesem Highway und der Bushaltestelle an der Kreuzung entfernt ist. Angesichts der zu erwartenden Lichtverhältnisse – und weil ich sowieso kaum mit all den tollen Fotos vom Taj würde mithalten können (ja doch, sowas zählt 😉 wenn man ‚ernsthaft‘ Fotos zu machen versucht) -, erspare ich mir das ganz frühe Aufstehen, Frieren und dann womöglich doch im Dunst ohne Sicht auf das Wunderbauwerk vor diesem Weltwunderbauwerk-Stehen (anders als die beiden Amis, die ich Abends im Om Sai getroffen habe, und die hoffen, dass so früh morgens auch tatsächlich schon ein Bus fährt). 

Ausschlafen. Ausschlafen? Bei dieser Kälte, trotz (dünnem) Schlafsack und beiden Decken (schwer, schwer und unbequem) und zwei Langarmhemden kaum möglich – aber nochmal umdrehen um 6:13 und einigermaßen gemütlich frühstücken. Immerhin. Diesig auf der Straße, die Sonne wird es schwer haben, den Dunst zu durchbrechen, wenn sie es heute denn überhaupt schafft, aber eine irre Stimmung. Der zweite Bus ist der Agra-Bus. Das Ticket gibt es beim Alten im Verkaufsverschlag (Hütte, Häuschen wäre der Ehre zu viel) erst, als der Bus schon um die Ecke biegt. 63,- Rs für die anderthalbstündige Fahrt, von der ein Drittel auf die Strecke vom Stadtrand bis zum Igdah-Busstand entfallen wird; Sitzplätze gibt es noch reichlich, Gangplatz links, sodass jeder, der auf den zweiten Sitzplatz will, sich doch bitte auf den aus irgendeinem Grunde nassen, Wasser? besprengten Platz am Fenster wird setzen müssen. Was erst kurz vor Agra passiert, bequeme Fahrt also! Es ist kalt, und das finden die einheimischen Fahrgäste (also alle anderen) zum Glück auch, sodass alle die Fenster geschlossen halten, eingemummelt in Schals und seltsame Mützen. Weniger Staub so, und das ist gut. Waschen ist schwierig, das heißt, weniger das Waschen (ich habe heißes Wasser, wenn ich es brauche, auch wenn Madame – die Ehefrau des Sohnes des Besitzers vom ‚Old Spoonbill‘, ich wohne im ‚New Spoonbill‘ – die Sicherung regelmässig wieder ausschaltet, um noch das letzte Quentchen Strom zu sparen, sollte ich wider ihre Aufforderung vergessen, den Schalter für den Boiler in meinem Bad ordnungsgemäß auf ‚Aus‘ zu schalten) – aber das Trocknen der Wäsche! Seit es in ganz Nordindien nebelt und hochnebelt entwickelt die Sonne kaum mehr die nötige Kraft, mein Zimmer hinreichend zu erwärmen, und auf dem Balkon gibt es keine Möglichkeit für eine Wäscheleine, auch ist die Aussicht auf frischen Vogelkot auf frischgewaschener Unterwäsche wenig reizvoll…
Ich hoffe, dass der mittlerweile volle Bus den Weg zum Busbahnhof beim Agra Fort findet, Agra ist eine große Stadt (kein Wunder bei 1,7 Millionen Einwohnern und so gut wie maximal 6-stöckigen Gebäuden), und die Rikscha-Fahrer wie auch alle anderen im Tourist-Business Beschäftigten seit Jahrzehnten wenn nicht Jahrhunderten berüchtigt – aber ich werde enttäuscht. Die letzte Viertelstunde geht es hupend und im Kriechgang durch enge und vor allem volle Straßen und ganz ohne Blick auf eines der so berühmten Bauwerke (immerhin ausgeschildert sind Fort und Taj an etlichen Ecken – ich bin also grundsätzlich richtig) zum Igdah-Busstand, den ich mir gut merken muss (Scout und GPS sei gedankt, dass dies elektronisch geht), denn später, gegen Sonnenuntergang spätestens, muss ich wieder hierher, den Bus zurück nach Bharatpur finden. Ein Blick in Google-Maps offenbart, dass es zum Fort 4,5 km sind, zu weit zum Laufen, wenn man sich nicht vollends vergiften will – also eine Rikscha, die auch schnell gefunden ist. Was sind schon 50,- Rs, wenn man sich größere Unannehmlichkeiten ersparen kann…
Vor dem Fort ein paar fliegende Händler mit Kaltgetränken, viele Touristenbusse, Menschenmassen – ja, es ist Sonntag, und mir schwant (mal wieder, kurze Gedächtnisspanne, leider), dass es mit einem sonntäglichen Besuch indischer Sehenswürdigkeiten nie die allerbeste Idee ist, wenn man seine Ruhe haben will. Kein Chai-Stall, leider, dabei würde ich gerne erstmal einen Tee trinken. Ich habe so viel Zeit, bis das Licht nachmittags – hoffentlich – besser wird. Keine Chance, also langsam gehen, alles langsam, genau Betrachten… Der Einritt kostet 300,- Rs, was erstmal ok erscheint, bis ich schon bald merke, dass fast die Hälfte des Forts aus Sicherheitsgründen (?) oder wegen Renovierungsarbeiten off limits ist – kein Gang auf die Festungsmauern, kein Überblick über die Stadt in alle Richtungen. Also noch langsamer gehen (das Taj selbst will ich ja gar nicht besuchen heute), und vor Sonnenuntergang zurückfahren hieße, nicht einmal die Chance auf Interessantes wahrzunehmen. Die Anlage ist nicht besonders spektakulär, wenn man das Rote Fort in Delhi, Amber Fort oder den Palast in Jodhpur kennt, das Licht ist schauderhaft, und so konzentriere ich mich schnell auf die indischen Touristen, die – meist sich selbst, oder ihre Begleitung, meist mit Handys, wenige mit richtigen Kameras – Foto um Foto machen oder für ein solches in Pose gehen, gerne in oder vor einem Torbogen oder Ornament; ein schönes Motiv, auch für mich… Immerhin wird es warm, aber der Hochnebel lässt nicht nach, das Taj, vom Pavillon bei der ‚Beschwerde-Kette‘ (Shah Jahan ließ sie installieren, damit sich Untertanen – ohne den Palast zu betreten – wegen Beschwerden bemerkbar machen konnten, indem sie unterhalb des Palastes diese Kette in Schwingungen und damit Lärm versetzen könnten, auf dass sie beim Herrscher Gehör finden mochten) bei besserem Wetter gut zu sehen, heute eher zu erahnen, wird trotzdem von fast allen Besuchern abgebildet – sieh, ich war da, ich hab das Taj gesehen… Ich erkunde alle Gänge und Räume, manche mehrmals, bekomme Hunger, schlendere – so langsam wie die ganze Zeit – dem Ausgang zu. In einem Seitenweg ein Durchgang, sicher verboten, ich sehe mich um nach allgegenwärtigen Aufpassern mit ihren schrillen Trillerpfeifen, stets bereit, jeden vom Abweg zu pfeifen; schönes Licht im Durchgang, Baumaterial, ein altes Fahrrad … dahinter links ein Blick auf die Außenmauer, Baustelle, Baumaterial, Streifenhörnchen… Dann ganz raus, eine Rikscha finden nach Taj Ganj, wo es Dachterassenrestaurants gibt mit direktem Blick auf das Taj… Die Motorrikschas wollen viel Geld, das ich nicht zu zahlen bereit bin, selbst der Alte mit der Fahrradrikscha will eigentlich gar nicht, scheint es (womit verdient er sein Geld, wenn er nicht fahren will?), bis ihn ein Motorrikshafahrer überredet, meine 40,-Rs zu akzeptieren. Er spricht kein Englisch, kennt das Hotel nicht, zu dem ich will, fährt selbst bergab kaum schneller als ich auch laufen könnte (auch da, wo kein Speedbraker dies verständlich macht), das kleine Stück leicht bergauf schiebt er, schwitzt. Wie wird das erst ab Februar, im März, April, Mai, wenn es nicht nur lauwarm (ich habe immer noch mein Softshell über dem Hemd), sondern heiß wird? Muss am Eingang zu Taj Ganj nach der Richtung fragen. Absperrungen, kein Durchgang für Autos, dafür viele Scooter, Motorräder, Fahrräder, Schlaglöcher, Müll, Staub, eng und dreckig, aber ansonsten ein nettes Viertel, viele Hotels, Restaurants, hier auch ein paar westliche und ostasiatische Touristen… Ich überlege kurz, abzusteigen, zu Fuß zu gehen, mich ohne Riksha-Wallah-Hilfe durchzufragen, aber es kann nicht mehr weit sein, und sein Geld muss er trotzdem verdienen. Als ich das Schild des Saniya Palace Hotels sehe, steige ich trotzdem ab und erspare ihm die letzten 50 Meter Schlaglöcher…
Das Hotel liegt in einem winzigen Seitengäßchen versteckt, doch von der Straße aus ist bereits zu sehen, dass es noch ein klein wenig höher ist als die umliegenden Gebäude. Nicht viel, aber das kann natürlich den Unterschied ausmachen, will man das Weltwunder entspannt im Sitzen und bei einem Kaffee betrachten, wie es die Backpacker-Bibel, Mutter aller heutigen Indienreiseführer, der fette Wälzer, den tatsächlich viele immer noch – trotz mitgeführtem Smartphone oder Tablet, für die es verschiedene elektronische Versionen gibt- in Papierform (und das heißt bei ca. 1300 Seiten sicher zwei Pfund) mit sich herumtragen, vorschlägt. Und tatsächlich ist der Blick über die Stadt und auf das wenige Hundert Meter entfernt liegende Taj wunderbar. Nur, welche der drei Dachterassenabschnitte soll mich während der nächsten Stunden beherbergen? – ein Problem, mit dem sich Wayne (ein chinesichstämmiger Kanadier, wie sich bald herausstellt) ebenfalls beschäftigt. Er ist auch gerade erst hier angekommen und unschlüssig, ob er lieber etwas höher und in der Sonne, oder lieber im – eigentlich gemütlicheren – Teil einen Meter tiefer im Schatten sitzen möchte, um den Ausblick zu genießen. Schlussendlich ziehen wir, nachdem wir schon im Stehen begonnen haben, uns über Herkunft, Reisen, das Taj, unterhalten, mehrmals im Verlauf der nächsten drei oder vier Stunden um. Der Kaffee (Nescafé erstaunlicherweise – hier hätten wir tatsächlich richtigen Kaffee, zumindest aufgebrüht, oder aus einer italienischen Espressokanne, erwartet) ist einigermaßen ok, das Sandwich ungetoastet leider, sein Fried Rice allenfalls mittelmäßig (vom Ausblick abgesehen nur zwei Sterne für die Lonely Planet-Empfehlung, als Hotel wirkt das Saniya Palace allerdings sehr nett, und teuer ist es auch nicht) und wir haben beide heute nichts anderes vor, als einen guten Blick auf das Taj zu haben und ein paar schöne Fotos zu machen. Zwischendurch stehen wir also immer wieder auf, während wir uns weiter unterhalten, beide, was ernstzunehmende Gespräche angeht, kommunikativ etwas ausgehungert nach Tagen ohne Kontakt zu ausreichend Englisch sprechenden Mitmenschen, wandern zwischen den verschiedenen Dachterassen hin und her, machen Fotos vom Taj in verschiedenen ausschnitten, von den Affen auf dem Nachbardach, kommentieren die sehr langen, gut sichtbaren Besucherschlagen, die sich vom Südtor zum Eingang des Mausoleums ziehen und nur wenig Bewegung erkennen lassen und überlegen gemeinsam, ob Wayne am nächsten morgen wohl Chancen auf schönes Licht und einen ungestörte(re)n Besuch im Taj haben wird. Denn während ich vom Park in Bharatpur schwärme und ihm einen solchen als Tagesausflug vor Abreise nach Delhi und weiter nach Kanada vorschla, stellt er fest, dass er sich im Datum geirrt hat und ihm tatsächlich nur noch der morgige Tag bleibt, um das Fort und das Taj zu besuchen… Und das Foto, das ich von ihm mit seinem Smartphone mache, das Taj im Hintergrund, die tieferstehende Sonne im Gesicht (er revanchiert sich mit ähnlichen Bildern von mir), reicht ihm nicht aus – wer weiß, ob und wenn ja wann er je wieder hierherkommen wird, denn die Welt ist groß und nicht jeder landet immer wieder an denselben Ören, die ihm gefallen, wie ich… Die Sonne sinkt weiter, das Licht verändert seine Farbe, wird wärmer, aber es klärt nicht auf, wird eher sogar wieder etwas diesiger, und so brechen wir dann gemeinsam auf, er, um noch im Hellen bei seinem Hotel zu sein, und ich, um vor Sonnenuntergang zumindest den Busbahnhof und einen Bus nach Bharatpur zu finden. Wir besteigen zwei Rikschas, nachdem wir noch ein paar hundert Meter durch den Staub und die Schlaglöcher gelaufen sind… Unsere Ziele liegen in verschiedenen Richtungen, aber bevor wir Taj Ganj endgültig verlassen, begegnen sich die Rikschas nochmal – die Rikscha-Fahrer kennen sich natürlich und haben sich noch mal für ihre geglückte Abendfuhre zu beglückwünschen… Der Bus steht schon abfahrbereit, als ich mit Sonnenuntergang am Igdah Bus Stand ankomme, und es waren tatsächlich fast fünf Kilometer Fahrt – ich hatte dem Fahrer nicht geglaubt, nachdem Google Maps mir knappe drei angezeigt hatte; aber das war der Fußweg, die Einstellung hatte ich übersehen, und auch in Agra sind viele Straßen nur in einer Richtung für motorisierte Vehikel zu befahren, oder so eng und voll, dass Rikschas und Autos die direkteren Routen meiden…
Im Bus diesmal ganz vorne in der Fahrerkabine, und dann die quälend langsame Fahrt durch die völlig verstopften Straßen in die Dunkelheit, bester Blick auf jedes drohende Unheil und die große Gelassenheit des Fahrers. Selbst außerhalb der Stadtgrenze wird die Fahrt nur unwesentlich schneller, kommt irgendwo ganz zum Erliegen. Ein Stau, die Trucks und Busse schieben sich nur noch dezimeterweise vorwärts, Pkw und Motorräder schlängeln sich durch jede noch so enge Lücke und erschweren das Vorwärtskommen weiter. Irgendwo weiter vorne wohl ein Unfall – oder es treffen einfach nur zwei Ausfallstrassen aufeinander, ungeregelt, in eine Lärm- und Staubwolke eingehüllt. Endlich durch, nach einer halben Stunde Zeitverlust, die der Busfahrer nun aufzuholen gedenkt und – wo immer die nunmehr Maut geförderte Straße mit ihren voneinander durch einen Grünstreifen und Beton abgegrenzten Fahrbahnen es zulässt – auf für unmöglich gehaltene 100 Stundenkilometer beschleunigt … Möge kein unbeleuchtetes Unfallfahrzeug auf der Fahrbahn stehen oder ein Truck unversehens einer Kuh oder einem Radfahrer ausweichen – oder einfach nur beschließen, aus irgendeinem anderen Grunde plötzlich die Spur zu wechseln… Grade rechtzeitig identifiziere ich die Kreuzung, an der ich aussteigen muss, um nicht bis zum Busbahnhof durchzufahren, springe ab in die durch die Straßenlaternen nur mäßig erhellte diesig-staubige Dunkelheit und gehe direkt zum Sai Om zum Abendessen… Später, nach einer heißen Dusche sitze ich mit einem Bier auf meinem Balkon und gehe durch die Fotos des Tages und überlege, wie ich das Taj sah….

Feel free to contact me

I always enjoy getting to know like-minded people

Copyrighted Image - contact me for a copy!